Der Purchase-to-Pay (P2P) Prozess im Detail
Schritt 1: Bedarfsermittlung und Anfrage
Bedarfsermittlung: Der Prozess beginnt intern mit der Identifizierung eines Bedarfs durch eine Fachabteilung oder durch das Lager- bzw. Warenwirtschaftssystem. Dieser Bedarf wird formal in einer Bestellanforderung (BANF) dokumentiert und an den Einkauf übermittelt. Man unterscheidet hierbei zwischen:
Primärbedarf: Fertige Produkte, die direkt an Kunden verkauft werden.
Sekundärbedarf: Rohstoffe, Bauteile oder Komponenten, die zur Herstellung der Endprodukte benötigt werden.
Tertiärbedarf: Hilfs- und Betriebsstoffe (z.B. Schmierstoffe, Büromaterial), die für den Betrieb notwendig sind, aber nicht direkt in das Produkt einfließen.
Die Bedarfsermittlung ist ein zentraler Prüfungsinhalt im Handlungsbereich "Beschaffung und Logistik".
Anfrage: Basierend auf der BANF startet der Einkauf den externen Prozess mit einer Anfrage an potenzielle Lieferanten. Dies ist eine rechtlich unverbindliche Aufforderung zur Abgabe eines Angebots. Man unterscheidet:
Unbestimmte (allgemeine) Anfrage: Die Bitte um allgemeine Informationen wie Kataloge oder Preislisten zur Marktsondierung.
Bestimmte (spezifische) Anfrage: Eine detaillierte Anfrage zu einer genau definierten Ware oder Dienstleistung, die klare Angaben zu Menge, Qualität, Spezifikationen und gewünschtem Liefertermin enthält.
Schritt 2: Angebotsvergleich und Bestellung
Angebot: Als Reaktion auf die Anfrage unterbreitet der Lieferant ein Angebot. Dies ist, im Gegensatz zur Anfrage, eine rechtlich bindende Willenserklärung, die den Verkäufer zur Lieferung zu den genannten Konditionen verpflichtet, sofern der Käufer sie annimmt. Die rechtliche Bindung kann durch sogenannte Freizeichnungsklauseln wie "Angebot freibleibend" oder "solange der Vorrat reicht" eingeschränkt oder aufgehoben werden.
Angebotsvergleich: Liegen mehrere Angebote vor, müssen diese systematisch verglichen werden, um die wirtschaftlichste Entscheidung zu treffen.
Quantitativer Vergleich: Hier wird rein der Preis verglichen. Um Angebote mit unterschiedlichen Rabatten, Skonti und Lieferkosten vergleichbar zu machen, wird der Bezugspreis (auch Einstandspreis genannt) kalkuliert. Das Schema lautet: Listenpreis./. Lieferantenrabatt = Zieleinkaufspreis./. Lieferantenskonto = Bareinkaufspreis + Bezugskosten (z.B. Fracht, Versicherung) = Bezugspreis. Das Angebot mit dem niedrigsten Bezugspreis ist rein rechnerisch das günstigste.
Qualitativer Vergleich: Da der Preis nicht das einzige Kriterium ist, werden zusätzlich nicht-monetäre (qualitative) Faktoren bewertet. Dazu gehören die Qualität der Ware, die Lieferzeit, Zuverlässigkeit des Lieferanten, Serviceleistungen und zunehmend auch Nachhaltigkeitsaspekte. Für diesen umfassenden Vergleich wird oft eine Nutzwertanalyse oder ein Scoring-Modell herangezogen.
Bestellung: Nach der Entscheidung für einen Lieferanten wird die Bestellung ausgelöst. Mit der Annahme dieser Bestellung durch den Lieferanten, die oft durch eine schriftliche Auftragsbestätigung erfolgt, kommt ein rechtsgültiger Kaufvertrag zustande.
Schritt 3: Warenannahme und Wareneingangskontrolle
Warenannahme: Dies ist die physische Entgegennahme der Lieferung im Unternehmen. Hierbei wird die Sendung anhand der Begleitpapiere (Lieferschein, Frachtbrief) auf äußere, sichtbare Transportschäden, korrekte Adressierung und die richtige Anzahl der Packstücke geprüft.
Wareneingangskontrolle: Nach der Annahme erfolgt die detaillierte Prüfung der Ware selbst. Diese Kontrolle ist nicht nur zur Qualitätssicherung wichtig, sondern auch eine kaufmännische Pflicht im Rahmen des zweiseitigen Handelskaufs (unverzügliche Rügepflicht gemäß § 377 HGB). Die Prüfung umfasst:
Identitätsprüfung: Wurde die richtige Ware geliefert?
Quantitätsprüfung: Stimmt die gelieferte Menge mit der Bestellung und dem Lieferschein überein?
Qualitätsprüfung: Entspricht die Beschaffenheit der Ware den vereinbarten Spezifikationen? Offene Mängel müssen dem Lieferanten unverzüglich gemeldet werden, um Gewährleistungsansprüche nicht zu verlieren. Versteckte Mängel, die erst später entdeckt werden, müssen sofort nach ihrer Entdeckung gerügt werden.
Qualitätssicherung durch Stichproben (AQL-Methode): Bei großen Liefermengen ist eine 100%-Prüfung oft unwirtschaftlich. Hier kommt die AQL-Methode (Acceptable Quality Level) zum Einsatz. AQL ist ein international standardisiertes, statistisches Verfahren, das festlegt, wie groß die zu prüfende Stichprobe sein muss und wie viele fehlerhafte Teile innerhalb dieser Stichprobe toleriert werden, damit das gesamte Lieferlos noch als "akzeptabel" gilt. Anhand von AQL-Tabellen (z.B. nach ISO 2859-1) werden auf Basis der Losgröße und des gewählten Prüfniveaus die Stichprobengröße und die maximal zulässige Anzahl an kritischen, Haupt- und Nebenfehlern bestimmt. Dies ermöglicht eine effiziente und statistisch fundierte Qualitätssicherung.
Schritt 4: Rechnungsprüfung und Zahlungsabwicklung
Rechnungsprüfung: Die vom Lieferanten eingehende Rechnung wird sorgfältig geprüft. Dabei wird kontrolliert, ob die Rechnungspositionen (Artikel, Mengen, Preise) mit der ursprünglichen Bestellung und die gelieferten Mengen mit dem Wareneingangsbeleg übereinstimmen. Dieser Abgleich wird als sachliche und rechnerische Prüfung bezeichnet. In modernen Systemen wird ein sogenannter "Three-Way-Match" angestrebt, bei dem die Daten aus Bestellung, Wareneingangsbeleg und Rechnung automatisiert abgeglichen werden.
Zahlungsabwicklung: Nach erfolgreicher Prüfung wird die Rechnung zur Zahlung freigegeben. Die Buchhaltung veranlasst die Überweisung, idealerweise unter Einhaltung der vereinbarten Fristen, um von Preisnachlässen wie Skonto zu profitieren.
Die folgende Tabelle bietet eine strukturierte Übersicht über den gesamten operativen Beschaffungsprozess.
Infografik
Der Purchase-to-Pay (P2P) Prozess
Ein visueller Leitfaden vom Bedarf bis zur Bezahlung
Die vier Kernphasen des operativen Einkaufs
Bedarf & Anfrage
Alles beginnt mit einem internen Bedarf (BANF), der zu einer externen, unverbindlichen Anfrage bei Lieferanten führt.
Angebot & Bestellung
Lieferanten senden rechtlich bindende Angebote. Nach einem sorgfältigen Vergleich wird die Bestellung ausgelöst.
Warenannahme & Prüfung
Die gelieferte Ware wird physisch angenommen und auf Menge, Identität und Qualität geprüft (Rügepflicht!).
Rechnung & Zahlung
Die Rechnung wird mit Bestellung und Wareneingang abgeglichen. Nach Freigabe erfolgt die Bezahlung.
Analyse der Bedarfsarten
Der Gesamtbedarf eines Unternehmens setzt sich aus drei Kategorien zusammen. Der Sekundärbedarf an Rohstoffen und Bauteilen macht oft den größten Anteil aus.
Primärbedarf: Fertige Produkte für den direkten Verkauf.
Sekundärbedarf: Rohstoffe und Teile für die Produktion.
Tertiärbedarf: Hilfs- & Betriebsstoffe für den Betrieb.
Qualitativer Angebotsvergleich
Ein Scoring-Modell hilft, über den Preis hinauszuschauen. Kriterien wie Qualität und Lieferzeit werden gewichtet und bewertet, um den Lieferanten mit dem besten Gesamtpaket zu identifizieren.
Quantitativer Angebotsvergleich
Um den wahren Preis eines Angebots zu ermitteln, wird der Bezugspreis (Einstandspreis) kalkuliert. Erst dieser Wert macht Angebote mit unterschiedlichen Konditionen fair vergleichbar.
Effiziente Qualitätssicherung: AQL
Bei großen Liefermengen ist eine 100%-Prüfung unmöglich. Das AQL-Verfahren (Acceptable Quality Level) ermöglicht eine statistisch fundierte Entscheidung auf Basis einer Stichprobe.
Beispiel: Aus einem Los von 10.000 Teilen wird eine Stichprobe von 200 Teilen geprüft. Werden maximal 5 fehlerhafte Teile (AQL 2.5) gefunden, wird das gesamte Los akzeptiert.
Automatisierte Prüfung: Der Three-Way-Match
Bestellung
Was wurde bestellt?
Wareneingang
Was wurde geliefert?
Rechnung
Was wird berechnet?
Übungsaufgaben
Übungsaufgaben: Der Purchase-to-Pay Prozess
Hinweis